Mietergeschichten
von Sabrina Lettenmaier & Diar Nedamaldeen
Zu Besuch bei Herrn Mayrthaler
Herr Mayrthaler hat viele Mitbewohnerinnen mit langen Hälsen. Sauber aufgereiht stehen sie da, im hellen Wohnzimmer: feingemasert, glänzend, tailliert und immer in Stimmung für spontane Jam-Sessions. Die nächste lässt nicht lange auf sich warten, denn – wie das bei Musiker:innen so ist – kann Mayrthaler keine Gitarre in die Hand nehmen, ohne dass sich seine Finger wie von selbst ihren Platz auf den Saiten suchen, ohne dass sich eine Melodie so unvermittelt abspielt, als hätte sie schon lange zuvor lautlos in der Luft gehangen und auf ihren Auftritt gewartet.
Mit der amerikanischen Rockband Creedence Clearwater Revival und ihrem gleichnamigen Album hatte alles angefangen. Ein zwölfjähriger Hubert, der seine erste CD kauft, hört, hört und nochmal hört, der im Rock n‘ Roll seinen Soundtrack fürs Leben findet. Fünf Jahre später beginnt er selbst Unterricht zu nehmen: erst Stubenmusik mit Zither und Gitarre, später auch Klavier.
Spätestens an diesem Punkt in der Biographie müssen wir den Elefanten im Raum ansprechen. Vier Herren sind es, um genau zu sein. Ihre überlebensgroßen Gesichter lächeln faltig und Zähne zeigend von einer wandfüllenden Leinwand ins Wohnzimmer hinein: The Rolling Stones. 1995 sah Mayrthaler sie zum ersten Mal live. Keith Richards an der Gitarre, der den Rhythmus vorgibt und die Messlatte legt: „Ois andere is a Schmarrn.“, dachte sich der Musiker in diesem Moment. Seitdem entwickelt sich seine eigene Musik-Geschichte an den Rolling Stones entlang, seine Wände und Schränke füllen sich mit Fotos, Plakaten, Kassetten, CDs und Erinnerungen und bis zum Corona-Knick in der Geschichte spielt er selbst als Teil einer Coverband auf Straßenfesten, im Biergarten oder im alten Gefängnis.
„Nach der Wohnungsbesichtigung hab ich vor allem eins noch im Kopf gehabt: die Aussicht nach Vötting.“
Hubert Mayrthaler, Plantagenweg
Heute lässt es der gelernte Elektroniker zwar nicht immer leise aber meistens ruhig angehen. Am 12. September 2022, beim Einzug in den 4. Stock im Plantagenweg zogen mit den Umzugskisten auch die Schmerzen ein. Die Niere, wie er später erfahren würde. Und statt in die neue Bleibe ging es erst einmal in die Notaufnahme. Nicht erst jetzt stand für Mayrthaler fest, was im Leben wirklich wichtig ist. Dem Körper und der Seele muss es gutgehen. Und dem Umfeld. Sonst hilft alles nix. Acht Jahre lang hat er als jüngstes von fünf Geschwistern die Mutter gepflegt. Er hat es gerne getan und auch nach ihrem Tod nicht den guten Draht zu ihr verloren. „Wenn es dich noch gibt, zeig dich!“, hatte er sie gebeten. Und dann kam die Zeit, in der er ständig Spülschwämme nachkaufen musste. Damals hatte er noch in der Rotkreuzstraße gelebt und das Küchenfenster im Sommer immer ein Stück offengelassen. Nach dem Abspülen hatte er den Schwamm zum Trocknen auf eine umgedrehte Tupperdose gelegt – um ihn dort ein ums andere Mal nicht mehr vorzufinden. Einmal – im Winter – war das Fenster geschlossen gewesen. Weil Mayrthaler sie beim Pennymarkt vergessen hatte, kam er mit einer Packung roter Herzerl-Schwämme von Tedi nach Hause. Als er nach dem Abspülen erneut in die Küche kam, lag das Herzerl nicht mehr auf der Tupperdose, sondern zum ihm zeigend vor dem Kühlschrank: „Zufälle san des ned“.
Der Verlust von Freunden und von seiner Mutter brachte Hubert Mayrthaler zum Glauben zurück. Inzwischen ist wieder Kirchenmitglied und überlegt sogar, Mesner zu werden. Den Gottesdienst begleiten, in der Kirche Ordnung halten, alles herrichten und pflegen. Das wäre ein Traum. Bis dahin muss aber der Körper wieder mitmachen und vielleicht auf das ein oder andere Graicherte verzichtet werden. Dass es der Seele gutgeht, dafür sorgen eine Tour zum Vöttinger Weiher, ein Besuch bei Geschwistern oder Spezln und natürlich das ganz Offensichtliche: seine Liebe zur Musik.
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